Diese 6 Themen sind bei der Planung zu berücksichtigen
Sie stehen mit beiden Beinen mitten im Leben, sind beruflich erfolgreich und fühlen sich am Höhepunkt Ihrer Schaffenskraft. Das Wissen um die eigene Leistungsfähigkeit hat Sie auch bestärkt, jetzt den lang gehegten Wunsch nach einem eigenen Haus in die Realität umzusetzen. Aus Ihrem Job sind Sie es gewohnt, strategisch zu denken und grobe Eckdaten Jahre vorauszuplanen, ohne die Flexibilität in Ihren täglichen Entscheidungen unnötig einzuschränken. So wollen Sie auch bei Ihrem Hausbau vorgehen. Die Anforderungsliste zielt auf Ihren aktuellen Lebensstatus und der Ihrer Familie ab. Sie wissen, dass die geplante Investition die größte Ihres Lebens sein wird, und sind sich ziemlich sicher, dass Sie dieses Abenteuer nicht noch einmal wagen werden. Es ist eine Entscheidung fürs Leben. Doch wie wird das in 20 bis 30 Jahren aussehen? Dann haben die Kinder bereits ihr Studium abgeschlossen und wohnen sicher nicht mehr zu Hause. Werden Sie dann noch so fit sein, wie Sie es jetzt sind? Soll und kann man darauf jetzt schon in der Planung Rücksicht nehmen?
Wir zeigen Ihnen, worauf Sie achten sollten, um später ein barrierefreies Wohnen zu ermöglichen, ohne heute schon in der Architektur einer Seniorenresidenz wohnen zu müssen.
Was bedeutet denn der Begriff „barrierefrei“?
Bereits 1995 hat die Europäische Kommission eine „Entschließung zu den Menschenrechten behinderter Menschen“ verabschiedet. Auf Basis dieser Entschließung wurde im August 1997 der Artikel 7, Absatz 1 in die österreichische Bundesverfassung neu aufgenommen:
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“
Wenn etwas im Verfassungsrang steht, dann ist das vor dem Verfassungsgerichtshof auch einklagbar. Man war somit zum Handeln gezwungen, also entsprechende Gesetze zu beschließen und Verordnungen zu erlassen. Änderungen und Anpassungen der österreichischen Baugesetze und Bauordnungen waren notwendig, geltende Normen mussten ergänzt werden, um sicherstellen zu können, dass Menschen mit Behinderungen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Diskriminierung genießen können. Architekten und Planer finden die darauf aufbauenden Planungsgrundsätze in der ÖNORM B 1600 (Barrierefreies Bauen) und in der OIB-Richtlinie 4 (Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit).
Barrierefreiheit bedeutet also verkürzt ausgedrückt, dass alle Hindernisse beseitigt werden müssen, die einen Menschen mit Behinderung an der Ausübung der Grundfreiheiten beeinträchtigen. Im öffentlichen Bereich schließt „barrierefrei“ immer auch den Begriff „rollstuhlgerecht“ mit ein. Im privaten Wohnungsbau ist dies nicht der Fall. Man kann also barrierefrei bauen, ohne rollstuhlgerecht zu sein. Dieser Umstand räumt dem Planer aber auch mehr gestalterische Freiheiten ein.
Wer also vor hat, später einmal barrierefrei wohnen zu wollen, muss nicht notwendigerweise alle Maßnahmen dazu schon heute realisieren, wohl aber empfiehlt es sich, diese Maßnahmen schon in der Planung vorauszudenken.
Gut zu wissen
Eine barrierefreie Wohnung ist nicht unbedingt rollstuhlgerecht. Ist eine Wohnung hingegen rollstuhlgerecht, ist sie immer auch barrierefrei. Gilt eine Wohnung als behindertengerecht, ist sie an die jeweiligen Bedürfnisse des Bewohners angepasst. Die Ausstattungsmöglichkeiten sind in diesem Punkt so vielfältig wie die Art der Behinderung. In Wohnungsanzeigen werden häufig die Begriffe senioren- oder altengerecht verwendet. Diese Begriffe sind allerdings nicht gesetzlich definiert, weshalb sie keine festgelegten Ausstattungsmerkmale mit sich bringen. Im Grunde kann also jede Wohnung mit diesen Attributen beschrieben werden. Häufig ist das der Fall, wenn die Wohnung beispielsweise Haltegriffe im Bad vorzuweisen hat oder in der Nähe zu Ärzten liegt.
Wir möchten Ihnen anhand eines konkreten Planes ein Einfamilienhaus zeigen, worauf zu achten ist, damit es in späteren Jahren tatsächlich barrierefrei adaptiert werden kann.
Die Planung zeigt ein 2-geschoßiges Einfamilienhaus mit Split-Level, Terrassen in UG und OG, Swimmingpool und 4 Auto-Abstellplätzen in 2 Carports. Die entsprechenden Grundrisspläne für Obergeschoss und Untergeschoss finden Sie am Ende des Artikels.
Abb. 1: Modernes, barrierefreies Einfamilienhaus, fiktiver Entwurf als Vorzeigebeispiel zur Verfügung gestellt von Arch. DI Herbert Angerer – www.herbertangerer.at
Thema 1: Zufahrt und PKW-Stellplatz
Ein barrierefreier Stellplatz benötigt mit einer Breite von mind. 350 cm mehr Platz als ein üblicher PKW-Stellplatz (250 cm) und soll in unmittelbarer Nähe zum Haupteingang gelegen sein. Im vorliegenden Fall wurde der erste Gästeparkplatz dafür vorgesehen. Von dort gelangt man sowohl durch eine Schmutzschleuse (Fahrradabstellplatz) als auch durch den Haupteingang ins Gebäude. Diese Maßnahme wurde sinnvollerweise schon in der Erstplanung und zur sofortigen Realisierung eingeplant. Ist ein eigener Gehweg vorgesehen, so ist auf eine Breite von 150 cm zu achten. Der Gehweg darf an keiner Stelle durch Hindernisse eine Durchgangslichte von 90 cm unterschreiten.
Thema 2: Eingang und Türen
Die ÖNORM sieht vor, dass der Haupteingang sowie ein Personenaufzug barrierefrei erreichbar sein müssen. Zu achten ist dabei auf die Durchgangsbreite, die generell 80 cm, bei Haupteingängen 90 cm nicht unterschreiten darf und auf etwaige Schwellen. Diese dürfen nicht höher als 2 cm, im Ausnahmefall 3 cm sein und müssen mit einem Rollstuhl mühelos überfahrbar sein. An beiden Seiten von Türen sind Anfahrbereiche vorzusehen, die einen Bewegungsdurchmesser von jeweils 150 cm zulassen müssen.
Da der Hauseingangsbereich in der Regel für einen späteren Umbau nicht in Frage kommt, sollten der Anfahr- und Bewegungsbereich dort jedenfalls vorgesehen werden. Andere Räume innerhalb des Hauses können im Bedarfsfall, also durchaus auch erst später und den dann bestehenden Anforderungen entsprechend verändert werden.
In unserem Beispiel kommt man durch die Haustüre zunächst in einen Eingangsbereich, der auch als Windfang dient. Durch eine weitere Eingangstüre betritt man dann den Wohnbereich, bezeichnet als „Podest Eingang“ mit den Treppen nach unten ins Erdgeschoß und nach oben ins Obergeschoß. Vor der längeren Treppe nach oben ist auf den Bewegungsbereich von 150 cm explizit Rücksicht genommen.
Thema 3: Gangbreite
Horizontale Verbindungswege und Vorräume müssen eine lichte Breite des Bewegungsraumes von mindestens 120 cm aufweisen. Die lichte Breite darf durch Einbauten und vorstehende Bauteile nicht eingeengt werden. Normalerweise stellt diese Vorgabe keine allzu große Herausforderung dar, da eine moderne und offene Architektur ohnehin auf Gänge weitgehend verzichtet oder diese großzügig ausgestaltet.
Thema 4: Treppen und Lift
Haupttreppen müssen geradläufig sein und eine nutzbare Treppenlaufbreite von mindestens 120 cm, gemessen zwischen den beiden Handläufen, aufweisen. Nach 20 Stufen ist ein Podest vorzusehen. Es wird empfohlen, nach 12 Stufen ein Zwischenpodest anzuordnen. Diese Vorgabe beruht auf der Anforderung, dass Podeste für den Transport einer Krankentrage ausgelegt werden sollen. Entsprechend ist auch auf den Podesten eine Bewegungsfläche von 150 cm Durchmesser einzuhalten. In unserem Beispiel ist diese Bewegungsfläche beim Treppenaustritt ins Obergeschoß in den Plan eingezeichnet.
Ein besonderes Augenmerk verdienen die Handläufe, für die die Norm vorsieht, dass sie sowohl beim An- als auch beim Austritt 30 cm über die Stufenkante weitergezogen werden müssen. Dies ermöglicht einem unsicheren Benützer der Treppe sich entsprechend vorzutasten bzw. hochzuziehen.
Ist in einem Gebäude ein Lift (die Norm spricht von Personenaufzügen) vorgesehen, so muss dieser stufenlos erreichbar sein. Verlässt man einen Personenaufzug, so müssen vom Austritt weg alle allgemein zugänglichen Räume, auch Sanitärräume stufenlos erreichbar sein.
Wenn Sie den Plan unseres Beispiels studieren, werden Sie keinen Lift finden. Eigentlich ist die Barrierefreiheit am Eingangspodest somit beendet. Im aktuellen Nutzungsfall ist dies auch tatsächlich so. Für die Zukunft ist aber vorgesorgt. Das im Erdgeschoß vorgesehene Dampfbad muss bei Bedarf dann weichen, ebenso wie der im Obergeschoß geplante Abstellraum. Die vorhandene Zwischendecke wird dann entfernt und im somit entstandenen Freiraum kann ein Lift installiert werden. Die Abmessungen der statisch tragenden Wände sind so gewählt, dass ein Tragkorb mit 110 x 140 cm darin Platz findet.
Thema 5: Bad und WC
Auch für ein Bad und ein WC gilt die Anforderung, dass ein Bewegungsraum mit einem Durchmesser von 150 cm vorhanden sein muss, um als barrierefrei bezeichnet werden zu dürfen. Ein Blick auf die Grundrisspläne zeigt uns, dass dies nicht eingehalten wird. Aber auch das ist nur eine Momentaufnahme.
Behalten die Bauherren in späteren Jahren das Obergeschoß als bevorzugten Wohnraum, so lässt sich das Gäste-WC durch Versetzen einer Seitenwand ohne großen Aufwand auf die geforderte Breite vergrößern. Entscheiden sie sich für die Nutzung des Erdgeschoßes, ließe sich das Wellness-WC zu Lasten des Weinkellers oder des Schrankraumes ebenfalls vergrößern.
Auch für den Fall einer benötigten 24 h Hilfe ist bereits in der aktuellen Planung Vorsorge getroffen. Die beiden Kinderzimmer befinden sich samt WC und Bad in einem durch einen eigenen Eingang abgesonderten Bereich und können mit geringem Aufwand in eine Einliegerwohnung für eine Pflegekraft umgestaltet werden.
Thema 6: Terrassen und Schwellen
Für Terrassenaustritte gilt wie für die Haustüre eine Schwellenhöhe von 2 cm und deren mühelose Überfahrbarkeit zu beachten. Dies stellt für Planer und ausführende Gewerke im Untergeschoß unseres Beispiels keine Herausforderung dar. Etwas schwieriger gestaltet sich die Situation aber im Obergeschoß, liegt doch ein Teil der Terrasse über dem Wohnraum des Erdgeschoßes und muss daher entsprechend überdämmt werden. In diesem Fall hat man folgende Möglichkeiten:
man senkt die Holzdecke im überbauten Erdgeschoß ab, was zu einer Reduzierung der Raumhöhe in der darunter liegenden Wohnung führt
man erhöht den Fußbodenaufbau im Innenbereich, was zu einem erheblichen Material(mehr)einsatz führt, bei Einfamilienhäusern aber gerne gemacht wird oder
man plant genügend Platz für eine Rampe bzw. ein mobiles Hubsystem ein. Dann kann man die Barrierefreiheit quasi nachrüsten, hat in der ursprünglichen Ausführung aber eine Stufe ausgebildet. Wird eine Rampe ausgeführt, muss diese eine Breite vom 120 cm aufweisen und darf eine Neigung von 6% nicht überschreiten. Um eine Stufe von 20 cm zu überwinden, muss die Rampe mehr als 3 m Länge aufweisen. Dies erklärt die bevorzugte Ausführung eines erhöhten Fußbodenaufbaus oder eines Hubsystems.
Fokus 1: PKW-Stellplatz
Fokus 2: Eingang
Fokus 3: Bewegungsbereich
Fokus 4: Gangbreite
Fokus 6: Lift
Fokus 7: WC
Fokus 8: Einliegerwohnung
Fokus 9: Terrassen und Schwellen